…Nach anfänglich dunklen, geheimnisvoll wirkenden und massiv gebauten Stadtansichten tauchen seit einigen Jahren in den Bildern Andrzej Piwarskis Motive auf, die vordergründig vom Erlebnis des Meeres abgeleitet sind. Das Milieu der See- und Handelsstadt Danzig mag da eine Rolle spielen. Doch diese Bilder sind mehr als die Abbildung von Meereslandschaften. Sie sind visuelle Anlässe, Kräfte darzustellen, die jedes menschliche Maß übersteigen. Strudel, Riesenwogen, Superfontänen, explodierende Windhosen, Wasserbälle und Wolkengebilde zuweilen vor einem weiten geraden Horizont gesehen, manchmal auch über einem gewölbten, planetenartigen Gebilde erscheinend, rufen den Eindruck von Katastrophen hervor, die bei all ihrer Fremdheit und Ungewöhnlichkeit doch zum Repertoire der nuklearen Alpträume der modernen Menschheit gehören könnten. Entsprechend dem bedrohlichen Inhalt dieser Arbeiten geht Piwarski bei der Gestaltung seiner Themen vor. Die Farbe sprüht spritzt, zerfließt, schießt und flutet über die Bildflächen, wobei Pinselbahnen, Farbhiebe, Kratzer und andere Malspuren den Werken den Charakter erstarrter Aktionen verleihen. Einflüsse der action painting der 50er Jahre sind ablesbar, doch werden sie nie bloß formalistisch übernommen. Vielmehr setzt Piwarski sie stets im Sinne von real erscheinenden Ereignissen um. Diese Bilder wirken gegenständlich, und sie sind auch so gemeint. Kühl, ja fast gläsern wird die Farbe mit ihren mannigfaltigen Blaus, Grüns, ihrem Weiß und Schwarz zur Trägerin einer inneren Dissonanz. Realistisch und distanzierend zugleich steigert sie dialektisch das Pathos des bildnerischen Ausdrucks derart, dass die dargestellten Kräfte zwar phantastisch wirken, man aber auch gleichzeitig glauben möchte, so könne es geschehen. Was jedoch ist es, was geschehen könnte? Piwarski ist beherrscht genug, es bei den Assoziationen zu belassen, die seine Bilder hervorrufen. Er gibt keine billigen, vorschnellen Antworten. Insofern sind seine Bilder dieser Periode Frage nach unbekannten Gewalten.
In einer neuen Serie von Bildern hat sich die aufgewühlte Welt Piwarskis scheinbar beruhigt. Die Farbexplosionen haben sich zu irisierenden, schwebenden Kugeln verdichtet. Schachbrettartige Plafonds, klar umrissene Zeichengebilde und eine klare Weite ordnen die Bildflächen zu kühlen, perspektivisch durchdrungenen Welten, in denen einsam und etwas ratlos zuweilen ein einzelner Mensch oder ein Paar seiner unbekannten Wege geht. Die Farbgebung ist durch die Verwendung von Rot, Gelb und Violett reichhaltiger geworden. Die Gewalt dieser Welten wird nicht mehr direkt sichtbar. Indirekt wird ihr Wirken in der Vereinzelung der menschlichen Wesen deutlich, welche diese imaginären Landschaften durchwandern. Das Wohin dieser Wanderungen bleibt unbeantwortet: Die Gestalten überschreiten den Horizont oder haben ihn soeben in Richtung des Bildraums passiert.
Naturgemäß können im Rahmen dieser Ausführungen nur knappe Anhaltspunkte zur Interpretation der Bilder Andrzej Piwarski gegeben werden. Aber soviel ist klar ablesbar: Die Bilder dieses polnischen Malers sind Fragen an unsere Ängste, Auslieferungen und Vereinsamungen, die wir uns trotz unserer Hoffnungen auf eine humanere Gesellschaft eingestehen müssen…
Prof.GÜNTER DREBUSCH – Einführung zur Ausstellung Barbara Ur und Andrzej Jan Piwarski Niederrheinisches Museum – Duisburg 1976